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     Frederik Egold  

     „Durchdringung als    Sichtbarmachung  des Unsichtbaren“  


Langsam und gleichmässig bewegen sich die Handflächen über den rohen, noch unfertigen Stein.  Tastend wird Größe und Umfang, Form und Gestalt erkannt. Milchig seifenartiger Staub setzt sich in die Poren der Haut, macht sie glatt und geschmeidig, sensibel für den Dialog zwischen Künstler und Stein. Mit einer kleinen Modelierfeile werden erste Konturen markiert, der Prozess des Werdens und der Verwandlung beginnt.


Diese Stimmung begegnete mir, als ich den Künstler Frederik Egold bei der Arbeit in seinem Atelier in Limeshain beobachtete. Sein Dialog mit dem Stein ist eine taktile und  haptische Kommunikation. Es ist ein Hineinhören, ein Hineinfühlen und ein Hineintasten in das Mineral, das durch den schöpferischen Akt des Künstlers Veränderung erfährt.


Frederik Egold, Bildhauer und Objektkünstler wurde 1977 in Hanau geboren. Er lebt in Frankfurt und  Limeshain. Aufgrund einer Erkrankung an „juveniler NCL“ (Batton Disease oder Spielmeyer-Vogt-Krankheit) erblindete er im Alter von 10 Jahren und leidet an Sprachstörungen und Epilepsie. 


Schon als Kind, damals noch sehend, beschäftigte er sich mit kleinen plastischen Arbeiten, die er aus Blech- und Eisenfundstücke konstruierte. Egolds Bedürfnis nach schöpferischem Gestalten mündete nach dem Schulabschluss an der Blindenschule in Friedberg (1995) nicht in die üblichen Sozialisationsmuster eines behinderten Menschen, sondern er fand Aufnahme in die Werkstattgalerie 37, der Stiftung Blindenanstalt in Frankfurt am Main, in der er schon seit 1989 während der schulfreien Zeit immer wieder als Hospitant arbeitete.


Unter Anleitung seines Lehrers, dem Maler und Bildhauer Dieter-JosefBauer, wurde er mit dem Mineral Steatit (Speckstein) vertrautIn seiner Weichheit und Wärme, ist charaktertypisch für den  Künstler Frederik Egold.  Diesem entlockt er durch Bearbeitung jene feinfühlige  Sensibilität die auch in ihm innewohnt.


Egolds ästhetische Aktivität wird stimuliert durch ein intensives Bedürfnis nach schöpferischem Tun, und der sich dadurch eröffnenden Möglichkeit, in eine visuelle Kommunikation mit seiner Umwelt treten zu können.


Seine Arbeitsweise, insbesondere der geistig-ästhetische Schaffensprozess, ist zwar unbeeinflusst von einer Akademiekunst und ihren stilistischen Moden, aber nicht von der ihn umgebenen und erfassbaren Welt.


Frederik Egold ist Pazifist, er verabscheut Krieg und Gewalt.  So sind seine Arbeiten immer auch eine Widerspiegelung von Wirklichkeit. Allerdings nicht im Sinne einer mimischen Darstellung, sondern mehr durch Zeichen und Symbole, in denen das Allegorische paraphrasiert wird.Obwohl die Titel seiner Exponate eher an die Malerei der Romantik eines  Caspar David Friedrich oder  William Turner erinnern, entspringen seine  Motive mehr einer archaisch-mythologischen Bilderwelt, in der Traum und Wirklichkeit, Abstraktion und Gegenständlichkeit durch seinen ureigenen schöpferischen Akt zur Synthese vereint werden.


Die visuelle Rezeption seiner Skulpturen wird durch taktile Elementein Form von Rillenmuster, gestockerte Aufrauungen, aber auch durch hochpolierte Flächen in einen fühlbaren Spannungszustand gebracht. 


Seine Gestaltungsprinzipien  sind bestimmt durch eine reduzierte Formensprache, in der das Prinzip „Pars pro toto“ ebenso wiederzufinden ist, wie Anleihen aus dem Impressionismus, dem Kubismus und dem Surrealismus.


Bei Frederik Egold führt dieses fragmentarische Einbringen unterschiedlicher Stilelemente allerdings nicht zu einem plumpen Eklektizismus der Gestal-tung, sondern zur Herausbildung eines eigenen sehr authentischen Stils, dessen wesentliches Merkmal die „Durchdringung der Körper mit Raum“ ist, ein Gestaltungstypus, der auf den russischen Bildhauer  Alexander Archipenko (1887-1964) zurückgeht, den dieser als Gegensatz zu den statuarischen Gewandfiguren des 19. Jahrhunderts in die Bildhauerei seit 1912 einführte.


Durchdringung als Aufhebung des plastischen Kerns einer Skulptur wurde fortan zum Paradigma in der Bildhauerei und beeinflusste nicht nur Bildhauer wie Auguste Rodin oder Henry Moore, sondern auch Maler wie Pablo Picasso und Salvador Dali. 


In Frederik Egolds Skulpturen bleiben Hohlräume stehen, sie fungieren nicht als Zwischenräume, sondern sind gleichwertige Form. Es gibt bei ihm keine Grenze der Gestaltung zwischen Epidermis und Umraum.  Der Umraum drückt mit eigener Energie auf die Plastik, bricht ihre Oberfläche, ihr Kontinuum auf und verformt sie. Die Plastik öffnet sich für den Betrachter, die den Umraum gleichsam an sich zieht und in sich aufnimmt. Es entsteht eine expressiv dynamische Verschmelzung von Skulptur und Raum.


Eine Durchdringung die im Werk Frederik Egolds eine kontinuierliche Größe darstellt. Durchlässe und Öffnungen treten immer wieder in Gestalt von Augensymbolen in seinen Plastiken und Skulpturen in Erscheinung.


Das eigene Blindsein, dass die Wahrnehmung des Sichtbaren für den Künstler einschränkt,  wird mittels eines taktilen ästhetischen Prozesses zur notwendigen Katharsis.


In allen Arbeiten von Frederik Egold finden wir Augen. Sie dringen in den Stein hinein, teilweise durch ihn hindurch, bis sie scheinbar Licht wahrnehmen  und von ihm durchflutet werden.  Jenes Licht, das für den Künstler aus der Erinnerung und des haptischen Augenblicks entsteht, wird zur Sichtbarmachung des Unsichtbaren.


Frederik Egolds  visionäre Formensprache, sein fast obsessiver Gestaltungs-wille, aber auch eine ästhetische Aktivität die trotz seiner Behinderung professionelle Züge trägt, machen ihn zum Künstler reinsten Wassers. 


Die künstlerische  Definition seiner Werke ist demzufolge eindeutig. Seine Kunst ist weder unter den Begriff „L´Art Brut“,  noch unter „Outsider Art“ oder Behindertenkunst zu fassen. Sie ist im besten Sinne des Wortes „L`art pour l`art“-  also Kunst um der Kunst willen. 


Die Behinderung von Frederik Egold kann und darf nicht zum Klassifikationsstigma seines Schaffens werden. Nur das  Werk muss  ausschlag-gebender Faktor für die Beurteilung und Bewertung sein, nicht der Zustand des Schöpfers, wie es Jean Dubuffet in seinen Manifest:   „L´Art brut préféré aux Arts culturel“ (1949) postulierte.   


So würde es keinem Wissenschaftler auf der Welt in den Sinn kommen,  die Arbeiten des Physikers Steven Hawkins als „Science Brut“, als „Rohe Wissenschaft“ oder gar als „Behindertenwissenschaft“ zu bezeichnen, nur weil dieser mit einem Sprachcomputer ausgerüstet ist und in einem Rollstuhl darherkommt.


Mit der gesellschaftlichen Akzeptanz des Unterschieds zwischen behinderten und nichtbehinderten Menschen, und den sich dadurch auflösenden diskriminierenden Rollenklischees  könnte auch eine hilflose Debatte über Termini für die ästhetische Aktivität, und ihrer Produkte, von Künstlern mit Behinderung beendet werden.


Ausstellungen wie diese in der Sparkasse Wetterau tragen dazu bei. Sie sind notwendige Brücken zur kulturellen Integration und einer gesellschaftlichen Normalisierung von Künstlern mit Behinderung, zu denen auch Frederik Egold zählt.         ©


Friedberg/Hessen, 27.02.03                                


Dr. rer. nat. Ralf Streum                                Link-Sammlung
Vortrag anlässlich einer Ausstellungseröffnung    

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